Dr. Hellmut Lützner war mit seiner Tochter Barbara Hölz aus Überlingen als Ehrengast auf der dfa-Tagung 2019 im Harz auf den Spuren des Jungborns mit dabei. Der besondere Ort und die Ergebnisse der Recherchen von Dr. Edmund Semler, des wissenschaftlichen Leiters der dfa, haben den großen Fastenarzt Lützner mit vielen historischen Fakten bekannt gemacht, die auch ihm so nicht bewusst waren. Wie hat die Tagung bei Lützner nachgewirkt?
Der Redakteur des Fastenboten, Frank Aschoff, hätte ihn gerne zu einem Gespräch in Überlingen getroffen, was aber durch die Kontaktbeschränkungen in der Corona-Krise nicht möglich war. So hat er mit dem inzwischen 92-Jährigen telefoniert, auch über die Geheimnisse seiner unglaublichen Vitalität – und Engel! Dr. Lützner hat dann gerne einige Fragen beantwortet und wendet sich auch mit Grüßen und Dankesworten an dfa-Mitglieder und Fastenfreunde.
Wie haben Sie die Tagung im Harz mit den Besichtigungen des Jungborn-Geländes erlebt?
Dass die dfa-Tagung im Harz stattfand – bin da einmal schwarz über die Zonengrenze in den Westen gegangen – und dass wir in den Jungborn geführt wurden, kann ich nur als ein Doppelgeschenk buchen – und dann auch noch mit Euch!
Die Wurzeln meines Arztseins – Fasten und Naturheilverfahren – liegen also doch im Jungborn, über die Eltern. Ich habe nicht gewusst, dass diese uralten Lebensweisen und Heilverfahren schon weit vor meinen Lehrern in Deutschland Bewährung und Tradition hatten. Deshalb war die dfa-Tagung für mich hochinteressant, und Ihr habt mir das Wissen um diese Dinge vermittelt – habt Dank dafür!
Hat die Tagung Erinnerungen an Ihre Kindheit, vielleicht Berichte über das Fasten Ihrer Eltern im Jungborn geweckt?
Das Wort "Fasten" war bei mir positiv besetzt, weil es von den Eltern nur mit Freude benutzt wurde; sie hatten zwei Mal im Jungborn gefastet. Frühmorgens barfuß Tautreten, nackt Gymnastik – Männer und Frauen durch eine Mauer getrennt! – gesunde Ernährung, Kalt-Waschungen, positives Denken ... das alles wurde für uns vier Kinder zu Selbstverständlichkeiten und hatte mit dem Begriff "Jungborn" damals nur entfernt etwas zu tun. Nur in Holzhütten hatten wir nicht geschlafen – aber bei offenem Fenster.
Sie haben einen Brief wiederentdeckt, der aus dem Jungborn an Ihre Mutter geschrieben wurde. Wer hat ihn geschrieben? Könnten Sie eine Passage daraus zitieren?
Der handgeschriebene Brief wurde von der Ehefrau von Rudolf Just an meine Mutter geschrieben als Dank für deren Kompliment zum Jungborn; und als Bitte, ihr doch das Rezept für das gute Sauerkraut mitzuteilen. Er wurde am 29.1.1932 geschrieben. Einige Zitate: "Für mich und für meinen Mann ist es unsere größte Freude, wenn wir auch nach längerer Zeit solch glückliche Berichte bekommen. Es ist ja immer so, wenn die Menschen die Jungborn-Gedanken so ganz einfach und treu in sich aufnehmen und vernünftig durchführen, ohne extrem und fanatisch zu sein, dann muß sich alles im Tun und Denken regeln ...“ Edmund Semler hat viel vom Jungborn erzählt und alte Bilder „ausgegraben“ – tausend Dank dafür!
Sie haben viel erlebt ¬ Kriegszeiten und Friedenszeiten. Sie sind jetzt 92 Jahre alt, fühlen sich wohl, bewegen sich viel. Mögen Sie uns Ihr „Rezept“ verraten?
Na gut, ich versuch`s. Es sind sicher nicht nur die mehr oder weniger guten Gene. Seit der Kindheit bin ich hautkrank: Neurodermitis, "unheilbar". Es hat 20 Jahre gebraucht, bis ich verstand, dass es eine ernährungsabhängige Hautkrankheit ist. Seither bin ich gesund, solange ich erhitzte Kuhmilch-Produkte meide. Das gilt auch für in Butter Gebackenes, für alles, was mit Milch gekocht, mit Quark gemacht oder mit Käse gegessen wird. Noch immer bin ich "Neurodermitiker", aber gesund.
Nicht missen möchte ich viel Rohkost (Edmund Semler!), und eine ausgewogene Vollwertkost nach Claus Leitzmann (früher Bircher-Benner/Schweiz, Brauchle und Grote/Dresden, Möller/Dresden, Krauß/Berlin). Falls etwas nicht vertragen wurde: Luvos-Heilerde (Adolf Just!)
Gefastet nach Buchinger habe ich jährlich ein Mal – nur fünf bis acht Tage; ich war zu mager – zuletzt 2019. Dabei habe ich mich zurückgezogen in eine gemütliche Dachgeschoßwohnung bei Heiligenberg, um zu meditieren, zu wandern und zu lesen.
Vielleicht noch diese Kleinigkeiten: Schlafen bei offenem Fenster; nach der heißen Dusche kalter Abguss (Kneipp); morgens nur Müsli; drei Mahlzeiten, zwischendurch nichts, viel trinken; täglich gehen (mit zwei Stöcken), gelegentlich wandern, zwei Mal wöchentlich Golf: zweieinhalb Stunden gehen, konzentriert spielen.
Und wie ist das mit den "Engeln", die Sie mir gegenüber erwähnt haben?
Na klar: erstens meine Frau; wir waren 60 Jahre lang verheiratet und sie hat mir in der Kurparkklinik als Programmleiterin zur Seite gestanden, na und sie war die erste Fastenleiterin für Gesunde! Zweitens unsere drei Kinder und sieben Enkel als mehr oder weniger deutliche Engel. Darüber hinaus glaube ich, dass es so etwas wie Engel gibt – zumindest in meinem Leben: vor Kriegsende auf der Flucht vor Russen; die Maschinengewehr-Kugeln pfiffen uns um die Ohren und trafen meinen "Volkssturm"-Kameraden. Später wurde ich von einem Russen vor einen Baum gestellt und mit der Pistole bedroht: "Schlüssel raus"; er wollte die Schätze meiner Eltern klauen, die nicht da waren. Ein andermal stand ich mit hochgekrempelten Hosen im Grenzbach nach dem Westen und wurde von einem Russen erwischt. Der durchsuchte mich und war mit dem Füller zufrieden, den er bei mir fand. An zwei russische Soldaten erinnere ich mich, die ich schätzen gelernt habe; das waren prachtvolle Menschen! Jetzt sind es die Russen, die mit Amerikanern und Asiaten in der Buchinger-Klinik an einem Tisch sitzen, um gemeinsam zu fasten. Der Himmel hat es gefügt, dass ich als junger Doktor im Westen keine Arbeit fand und mit meiner eben geheirateten Frau in die DDR gehen "musste". Dort konnte ich nicht nur arbeiten und verdienen, sondern auch den "Facharzt für Physiotherapie" machen, wo ich alles lernte, was ich mir über die Schulmedizin hinaus gewünscht hatte: klassische Naturheilverfahren, Fasten- und Ernährungstherapie – damit schließt sich der Kreis zu den Eltern. Überlingen hat für mich eine dreifache Bedeutung: in zwölf Jahren Buchinger-Klinik konnte ich einbringen, was ich in Dresden und Berlin-Buch gelernt hatte; in der Kurpark-Klinik gelang es mir/uns, dies auch Sozialversicherten zu vermitteln (126 Betten), wofür die Gesprächsrunden und die Lehrküche Fundamente wurden; und schließlich das "Fasten für Gesunde" , das auch hier geboren wurde. Aber die Geschichte kennt Ihr ja.
Der Himmel hat es gefügt, dass ich das weiterführen konnte, was zwei Laien, die beiden Buchhändler Just und meine Eltern erfahren und als heilwirksam erlebt hatten. Ich erkannte als Arzt, dass Medizin keineswegs nur aus dem Wissen um Arzneimittel und aus operativer Raffinesse besteht, sondern für circa 70 Prozent aller heute Erkrankten aus dem Wissen um Fasten, Ernährung und "klassische" Naturheilverfahren. Seit uralter Zeit – ausgegraben von Just, vielen Naturheilärzten und Buchinger – ist es täglich beweisbar, z.B. durch die beiden Überlinger Fastenkliniken.
Auch wenn es immer komplizierter wird, einfach zu leben, so lasst uns gemeinsam das Einfache weitersagen und weitergeben. Die Engel helfen uns dabei.