Dr.oec.troph. Edmund Semler

Was hat das Jungborn-Fasten vor 100 Jahren mit der dfa zu tun? 

In die Geschichte zu schauen, kann Identität stiften und dabei helfen, Gegenwart und Zukunft zu gestalten. Die Deutsche Fastenakademie (dfa) ist auf ihrer Jahrestagung 2019 in Braunlage und auf dem ehemaligen Jungborn-Gelände auf wichtige Wurzeln, Traditionslinien und „Fastenväter“ gestoßen. Schon bei seinem Tagungsvortrag förderte Dr. Edmund Semler, der Wissenschaftlicher Leiter der dfa, erstaunliche Fakten über das Jungborn-Fasten zu Tage – viele heute in der Linie Buchinger / Lützner praktizierte Grundsätze und Methoden des Fastens waren schon im Jungborn-Sanatorium bekannt und wurden kompetent eingesetzt: u.a. Vorfasten zur Entlastung, die fünftägige Fastendauer, ein Wiederaufbau durch das Nachfasten, die Führung der Fastenden durch einen sogenannten Fastenleiter. In diesem Fastenbotenbeitrag beleuchtet Dr. Edmund Semler die interessanten Parallelen und Unterschiede, die er auf Basis eines umfassenden Studiums der verfügbaren Quellen gefunden hat.

 Die Geschichte des Heilfastens und des Fastens für Gesunde wurde bis heute nicht aufgearbeitet. In der von Adolf Just (1859–1936) gegründeten Kuranstalt »Jungborn« im Harz wurden ab 1907 systematisch Patienten mit Fasten behandelt. So schreibt dieser in seinem Standardwerk »Kehrt zur Natur zurück!« im Jahre 1910: „Ich habe häufig genug Leute kennen gelernt und beobachtet, die völlig freiwillig und vielfach mit Leichtigkeit 1 Tag und mehr, ja bis zu 4 Wochen, sage 4 Wochen, fasteten. […] Die Ergebnisse bei solchen Fasten waren oft ganz überraschende. Manche waren nach dieser Fastenzeit sehr frisch, verjüngt und wie neu geboren. In ganz verzweifelten Krankheitsfällen trat durch dieses Fasten eine völlige Wendung ein.“

 

Der erste Fasten-Ratgeber entsteht…

Mitte der 1930er-Jahre hatten bereits mehr als 4.000 Personen im Jungborn gefastet, viele Kranke und viele Gesunde. Rudolf Just (1877–1948, links im Bild), der deutlich jüngere Bruder von Adolf Just, leitete den Jungborn ab 1908 und entwickelte eine umfassende Methode des »Jungborn-Fastens«. Umfangreiche Beobachtungen an hunderten Fastenden überzeugten Rudolf Just vom enormen therapeutischen Nutzen und der Ungefährlichkeit des Fastens beim Gesunden, sodass er für im Jungborn Fastende und für generell am Fasten Interessierte einen Fasten-Ratgeber mit dem Titel »Das Fasten nach den Jungborn-Grundsätzen und das Morgenfasten« (1922) veröffentlichte, der als Vorläufer von »Wie neugeboren durch Fasten« gesehen werden kann. Dessen Entstehung schildert Just rückblickend im Jahre 1936 wie folgt: „Es ergab sich nun für mich eine ungeheure Arbeit, die darin bestand, jeden Fastenden einzeln persönlich über die Notwendigkeit, den Sinn und die Durchführung der Fastenkur aufzuklären. Ich habe mit einzelnen Fastenden oft stundenlang gesessen oder bin mit ihnen gewandert, um sie in den großen Gedanken des Fastens und seine Bedeutung einzuführen. Ich entwarf schließlich kurze Fastenregeln, die dem Fastenden in die Hand gedrückt wurden, um mir die Aufklärung bei der Durchführung des Fastens zu erleichtern. […] Eines Abends setzte ich mich selbst hin und schrieb eine Nacht hindurch das auf, was ich vom Fasten durch Beobachtung bei kürzeren und längeren Fastenkuren erfahren hatte, und was auch die Fastenden wissen mussten. Mitten im Kurbetrieb, am 9. Mai 1922, gab ich dann mein Buch »Das Fasten nach den Jungborngrundsätzen und das Morgenfasten« heraus – 74 Seiten. […] Wenn jemand mein Buch »Fasten und Fastenkuren« [Anmerkung: Titel des Buches in der zweiten Auflage von 1929] gelesen hat, dann ist er für die Idee des Fastens gewonnen, dann weiß er, wie die Fastenkur durchgeführt wird, und er weiß auch, dass sie ihm gute Dienste tut, dass sie ihm, nachdem er so vieles andere schon versucht hatte, helfen wird.“

Das Fasten wurde im Jungborn-Sanatorium zur Beeinflussung krankhafter Erscheinungen (Heilfasten) und auch »bewusst als Übergangszeit zu einer neuen, gesünderen Lebensweise« durchgeführt, mit der Zielsetzung, beim Kranken und beim Gesunden eine »nachhaltige Wirkung« zu entfalten, also einen geänderten Lebens- und vor allem Ernährungsstil zu bewirken. Auch hierfür schrieb Just einen Ratgeber (»Die Jungborn-Ernährung«, 1927), der Aufschluss über »Richtig Essen nach dem Fasten« gibt.

 

Das Jungborn-Sanatorium: Entlastungstage, Abführen, Nachfasten – und das unter Anleitung durch den Fastenleiter

Die Grundsätze des Jungborn-Fastens sind im erwähnten Fastenratgeber sowie in einem 1928 veröffentlichten Faltblatt (»Fastenregeln«) dargestellt und werden hier kurz skizziert.

Das Fasten steht im Jungborn immer unter Aufsicht und Anleitung eines »Fastenleiters«, der mit den Wirkungen des Fastens durch Selbst- und Fremdbeobachtung bestens vertraut ist. Jeder Fastende im Jungborn weiß, dass das »Fasten ein freiwilliges Enthalten von jeder festen Nahrung« ist, dessen Erfolg maßgeblich von der richtigen Durchführung abhängt. Die Verantwortung liegt nach gründlicher Aufklärung beim Fastenden. Der Fastenleiter weiß, wer fasten kann, und wer nicht und wann der Fastende mit der Fastenkur aufhören soll. Als kürzeste Fastendauer gelten fünf Tage. Ohne Vor- und Nachfasten soll eine Fastenkur im Durchschnitt acht bis zehn Tage dauern. Eine fünftägige Fastenkur »kann man ohne Bedenken daheim machen; längere Fastenkuren werden unter sachkundiger Aufsicht erfahrener Fastenleiter in einer Anstalt gemacht.« – Die Aufsicht des Fastenleiters soll dem Fastenden die Gewissheit vermitteln, dass jemand da ist, der das Fasten und die dabei auftretenden Erscheinungen genau kennt und welcher jederzeit gefragt werden kann.

Das Fasten gliedert sich in vier Phasen: Vorfasten, Vollfasten, Nachfasten, Wiederaufbau des Körpers. Beim Vorfasten geht es um Entlastung. In den drei Tagen vor dem Fastenbeginn werden vorwiegend rohe Speisen, Obst, Vollkornbrot, Salate und Sauerkraut verzehrt. Am ersten Vollfastentag werden früh ein bis zwei Tassen Abführtee (Sennesblätter) getrunken. Glaubersalz wird im Jungborn nicht eingesetzt. Ab dem zweiten Tag erfolgt täglich früh ein Einlauf mit warmem Wasser. Der Fastende soll körperlich aktiv sein oder ruhen, je nach Befinden und Art des Leidens. Bei Spaziergängen soll Überanstrengung vermieden werden. Vorübergehende Verstimmungen und Unbehagen müssen in Kauf genommen werden, in dem Bewusstsein, dass sich der Körper während des Fastens in einem Ausnahmezustand befindet. Während des Fastens wird früh ein kleiner Löffel Luvos-Heilerde eingenommen. Mittags wird empfohlen, sich eine Gummiwärmflasche auf den Unterleib zu legen. Zu den Fastengetränken zählen Zitronen-, Pflaumen- und Mineralwasser sowie Pfefferminz-, Apfelschalen-, Hagebuttenkern- und Lindenblütentee. Geringe Mengen Honig oder Fruchtsaft zum Süßen sind erlaubt. Rauchen und Trinken von Alkohol sind zu unterlassen, wie auch der Konsum von Bohnenkaffee und echtem Tee (z.B. Grüner Tee, Schwarzer Tee). Kaffee und Tee dürfen nur in besonderen Fällen mit Wissen oder auf Anraten der Fastenleitung genossen werden. Der Fastende soll sich zurückhalten, nicht viel reden und sich möglichst von den Essenden absondern. Übermäßige Flüssigkeitszufuhr soll vermieden werden, um die Fastenkur nicht zu stören. Es wird dazu geraten, mehrmals am Tag mit Heilerdewasser zu gurgeln und Zunge sowie Zähne zu bürsten. Bei starkem Belag auf der Zunge soll diese mit einem Zungenschaber abgezogen werden.

Das Nachfasten schließt sich der Fastenkur an und dauert je nach Länge des Vollfastens drei bis sechs Tage. Dabei muss noch vorsichtiger, gewissenhafter vorgegangen werden als beim Vollfasten. Es erfolgt ein behutsamer Kostaufbau mit Obst, Gemüsesuppen, Kartoffeln, Sauerkraut, Vollkornbrot und Salaten, der im Rahmen des »Wiederaufbaus« in eine vollwertige, stark pflanzenbetonte Kost mit geringen Mengen an tierischen Produkten (Butter, Quark, Käse) übergeht.

Zentrum für Fasten, Rohkost- und Vollwert-Ernährung

Das Jungborn-Fasten ähnelt in seiner Konzeption dem Fasten nach Buchinger/Lützner, wenngleich es Unterschiede gibt. In der Geschichte des Fastens und auch der Vollwert-Ernährung nimmt der Jungborn eine Sonderstellung ein: Es wurden dort erstmals im großen Stil systematisch kranke Menschen mit Heilfasten behandelt. Das Fasten erfolgte nach einer empirisch herangereiften Methode, die im Fastenratgeber von Rudolf Just (1922) und den »Fastenregeln« (1928) für jedermann leicht zugänglich gemacht wurde. Mit dieser Methode und der Definition des »Fastenleiters« und dessen Aufgaben gilt der Jungborn auch als Ursprung bzw. Vorläufer der Bewegung »Fasten für Gesunde«, was auch ein Kommentar von Hellmut Lützner zum Jungborn bestätigt: »Ein Muster für geführte Fastenferien!« Durch die radikale Ausrichtung der Ernährung auf Rohkost und vegetarische Ernährung nach regionalen, saisonalen und vollwertigen Prinzipien muss der Jungborn auch als erstes großes Zentrum für Rohkosttherapie und Vollwert-Ernährung angesehen werden.

Dr. oec. troph. Edmund Semler,
Wissenschaftlicher Leiter der dfa, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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Literatur zum Thema „Jungborn-Fasten“ und „Geschichte des Fastens für Gesunde“

Bockholdt H: Wie ich durch den Jungborn auf einen völlig neuen Lebensweg kam und was ich vom Jungborn halte. Jungborn-Blätter 11 (2) : 51-54, 1936
Buchinger O: Das Heilfasten. Hippokrates, Stuttgart, 1. Aufl., S. 182-189, 1935
Crome: Meine zweite Fastenkur. Jungborn-Blätter 16 (4) : 69-72, 1941
Dewey EH: Die Fastenkur und das Morgenfasten. Salle, Berlin, 2. Aufl., 96 S., 1910
Just A: Kehrt zur Natur zurück! Jungborn-Verlag, Stapelburg, 7. Aufl., S. 167, 1910
Just R: Das Fasten nach den Jungborn-Grundsätzen und das Morgenfasten. Jungborn-Verlag, Bad Harzburg, 74 S., 1922
Just R: Die Jungborn-Ernährung. Jungborn-Verlag, Bad Harzburg, 1. Aufl., 89 S., 1927
Just R: Fastenregeln. Rudolf Justs Kuranstalt Jungborn, Faltblatt (4 Seiten), 1928
Just R: Über das Fasten. Jungborn-Blätter 3 (1) : 12-16, 1928
Just R: Fasten und Fastenkuren. Beobachtungen und Erfahrungen aus langjähriger praktischer Arbeit. Jungborn-Verlag, Bad Harzburg, 2. Aufl., Vorwort und S. 25, 1929
Just R: Von der Kur zum Leben. Jungborn-Blätter 4 (4) : 1-8, 1929
Just R: Der Jungborn. Denkschrift 1896-1931. Jungborn-Verlag, Bad Harzburg, S. 26, 1931
Just R: Das Geheimnis der Gesundheit. Jungborn-Blätter 6 (4) : 97-103, 1931
Just R: Die Entwicklung der Naturheilbewegung. Jungborn-Blätter 9 (1) : 1-5, 1934
Just R: Offizielle Medizin und Naturheilkunde im gemeinsamen Dienst an der Volksgesundheit. Jungborn-Blätter 9 (1) : 5-10, 1934
Just R: Die Geschichte des Fastens im Jungborn, seine Bedeutung für die Volksgesundheit. Jungborn-Blätter 11 (3) : 82-91, 1936
Just R: 40 Jahre Jungborn. Jungborn-Blätter 11 (2) : 44-49, 1936
Just R: Aus dem Leben fürs Leben. Jungborn-Blätter 12 (3) : 93, 1937
Just R: Die Ernährung des Kranken. Jungborn-Blätter 13 (3) : 79-86, 1938
Just R: 43 Jahre Jungborn! Jungborn-Blätter 14 (3) : 93, 1939
Just W: Die Ernährung als Krankheitsursache und als Heilmittel. Jungborn-Blätter 7 (4) : 101-107, 1932
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Keith G: »Plea for a simpler life« and »Fads of an old physician«. Adam and Charles Black, London, 149 S. + 177 S., 1900
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Küchler C: Über die Fastenkur. Jungborn-Blätter 15 (2) : 23-28, 1940
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Möller S: Das Fasten als Heil- und Verjüngungsmittel. Volkshygienischer Verlag, Dresden, 2. Aufl., S. 58f, 1925
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Schenck EG, Meyer HE: Das Fasten. Hippokrates, Stuttgart, S. 293, 1938
Schwartz R: Der Medizinaberglauben und das Fasten. Stampfl &. Comp., Braunau, S. 22, 113f, 1925
Semler E: Mit Herz und Verstand: Verzicht üben, Essen und Genießen lernen, Krankheiten heilen. Zitate von Dr. med. Hellmut Lützner. Selbstverlag, Engelhartstetten, S. 111, 2019
Spark W: Die Grundvergiftungen der Menschheit und ihre gründliche Reinigung. Funcke, Freiburg, S. 149, 1908
Vogel M: Warum Jungborn? Jungborn-Blätter 8 (4) : 97-111, 1933

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