„Zwei Jahrzehnte Erfahrung rund um das Fasten – als Profi"
Er ist Ausbildungsleiter der Deutschen Fastenakademie, begleitet Fastenwochen mit Gruppen – ist viel beschäftigt. Als ich Andrea im Herbst 2018 kennenlernte, gewann ich schnell den Eindruck, dass er wirklich alles! über das Fasten weiß. Darum freue ich mich, dass er mir für FASTEN HEUTE fachliche – und auch einige persönliche – Fragen beantwortet.
Ein Beitrag von Frank Aschoff (fa)
Wie bist du auf das Fasten gestoßen?
Ich habe in Gießen Oecotrophologie studiert. Dabei hatte ich auch Zeit, über den Tellerrand hinauszuschauen und bin auf das Meisterwerk von Otto Buchinger gestoßen: Das Heilfasten. Sofort wusste ich, dass ich über das Thema tiefer forschen möchte und habe eine Diplomarbeit über die Proteinfrage im therapeutischen Fasten geschrieben. Das war im Jahr 1999. Die Arbeit kann über die Gießener Onlinebibliothek geladen werden.
Aktuell werden ja viele Fastenmethoden diskutiert, Intervallfasten, Periodisches Fasten, Wasserfasten und Buchinger Fasten. Welche bevorzugst du? Und warum?
Das hängt ganz von der Fragestellung ab, die ich in meinen Fokus setze. Die spirituelle Komponente beim Buchingerfasten ist für mich durch nichts zu ersetzen. Hier klären sich meine Gedanken, meine innere Ordnung wird wieder hergestellt.
Wem würdest du das Heilfasten nach Otto Buchinger empfehlen, zum Beispiel in Form einer klassischen Fastenwoche, und wem nicht?
Genetisch ist jeder Mensch in der Lage eine oder mehrere Wochen nach der Methode Buchinger zu fasten - also ohne feste Nahrung und mit rund 250 bis 400 kcal am Tag. Die Fragen für uns Fastenleiter/innen und den Fastenwilligen lauten: Welches Ziel habe ich? Macht es für mich Sinn zu fasten? Nach welcher Methode soll ich fasten? Und ist es medizinisch empfehlenswert? Unter medizinischen Gesichtspunkten kann jeder Mensch bedenkenlos fasten, der gesund und leistungsfähig ist.
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Wer sollte es nur unter ärztlicher Begleitung, in einer Klinik oder mit der Begleitung eines Fastenberaters machen?
Zum Fasten braucht es körperliche, physiologische und psychische Ressourcen. So bringt ein Untergewichtiger eben keine ausreichenden Ressourcen mit. Gleiches beim Menschen mit enormer psychischer Erschöpfung. Und medikamentenpflichtige Patienten müssen sich ärztlich beraten lassen. Hier sollte ein Arzt darüber entscheiden, ob und wie lange gefastet werden kann. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen dem Fasten für Gesunde, also der Fastenkur beispielsweise zur Gesundheitsprävention und einem Fasten für Kranke, das dem Heilfasten oder der Fastentherapie entspricht.
Worin liegt denn der Unterschied?
In der Ausführung liegt der wichtigste Unterschied in der Fastendauer: Das Fasten für Gesunde geht bis maximal 10 Fastentagen, während die Fastentherapie ab 10 Tagen Fasten, mal auch bis zu 21 Fastentagen dauert. Die „Ärztegesellschaft Heilfasten und Ernährung“ hat in ihren Leitlinien zur Fastentherapie die Methoden und auch die Gegenanzeigen, also für wen keine Fastentherapie geeignet ist, klar beschrieben.
Bei welchen Krankheiten kann eine Fastenkur helfen, bei welchen nicht? Bei welchen ist es noch unklar oder wird es noch geforscht?
Die Fastentherapie sehe ich, genauso wie die Sport- und Bewegungstherapie als Breitbandtherapeutikum. In der Naturheilkunde gelten Fastenkuren seit jeher als der Königsweg der Heilkunst. Die Ärztegesellschaft Heilfasten zählt in ihren Leitlinien rund 60 Krankheiten auf, die von einer Fastentherapie profitieren können. Besonders beeindruckend sind die Patientenberichte bei vielen Formen des Gelenkrheumas, Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck und chronischen Schmerzsyndromen. Aktuell erforscht werden Fasten bei Chemotherapie zur Senkung von Nebenwirkungen und Fasten mit anschließender Spezialdiät bei Multipler Sklerose. Keine Wirkungen sind mehr zu erwarten, wenn bereits Organschäden vorliegen, etwa bei Krebs, dialysepflichtigen Nierenpatienten oder Alzheimerdemenz.
Was gilt es vor dem Start zu beachten, insbesondere, wenn man noch nie zuvor gefastet hat?
Ich empfehle jedem Anfänger die erste Fastenerfahrung unter professioneller Anleitung und in einer Gruppe zu suchen. Dann folgt die Auswahl des Fastenangebotes. Soll es ein Fasten am Wohnort sein, dann finden die Kurse meist am Abend statt. Oder eine Fastenferienwoche. Hier gibt es von der Ostsee bis zum Schwarzwald eine riesige Auswahl.
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Welcher Zeitpunkt eignet sich gut fürs Fasten?
Sicherlich sollte die Fastenzeit eine stressfreie Zeit sein. Auch braucht es mehr Zeit für Bewegung und Entspannungsübungen, beide sind sehr wichtig für eine positive und nachhaltige Verzichtserfahrung. Besonders gut lässt es sich im Frühjahr und im Herbst fasten mit Wanderungen kombinieren. Zunehmend wird aber auch zum Jahreswechsel gefastet.
Wie ist das mit dem Abführen und Einläufen – ist das ein Muss oder nicht?
Der Körper, aber auch die Seele, müssen im Fasten unterstützt werden, wenn wir beste Ergebnisse erzielen wollen. Für den Darm gilt es daher, seine Ausscheidungen zu fördern. das ist Teil der Fastenmethode nach Buchinger, also dem Heilfasten. Die einfache Erklärung lautet: Viele Faster haben in der Fastenzeit keinen Stuhlgang. Der Zerfall der darmbesiedelnden Bakterien stellt eine Belastung dar, die wir durch regelmäßige Darmentleerungen vermeiden können. Warmwasserspülungen, etwa mit einem sog. Irrigator, sind einfach und schnell in der Handhabe. Ein guter Fastenleiter erklärt auf anschauliche und humorvolle Weise die Selbstanwendung, während in Fastenkliniken das Fachpersonal die Anwendung durchführt.
Was kann man vom Fasten erwarten? Und was nicht? Eignet sich Fasten als Einstieg zu einer langfristigen Ernährungsumstellung?
Die Wirkungen des Fastens können auf der körperlichen, mentalen und seelischen Ebene erfahren werden. Vermutlich sind die ganzheitlichen Effekte verantwortlich für die vielfach beobachteten und sehr schönen Veränderungen in den Einstellungen und Verhalten der Menschen - auch in meinen Gruppen. Das zeigte auch unsere Präventionsstudie mit Prof. Hottenrott. Eine ambulant durchgeführte Gesundheitsfastenstudie im Jahr 2016, die die Deutsche Fastenakademie gemeinsam mit der Universität Halle mit rund 40 Probanden durchgeführt hat, ergab Folgendes: Innerhalb einer Fastenwoche nahmen die Teilnehmer durchschnittlich 3,3 Kilo Körpergewicht ab. Der Bauchumfang reduzierte sich um sieben Zentimeter, der Blutdrucksank und die Lebenszufriedenheit stieg. Kein Proband musste abbrechen. Die Fastenwoche im Alltag wurde sehr gut vertragen. Alle Ergebnisse waren auch nach drei Monaten erheblich verbessert. Und auch das Essverhalten veränderte sich nachhaltig. Aufgrund der guten Erfahrungen organisierte sich die Studiengruppe in den Folgejahren selbst als Fastengruppe weiter. Das hat mich sehr beeindruckt. Leider fehlen uns die Mittel, weitere Studien mit ambulanten Gruppen durchzuführen.
Muss man einen Jo-Jo-Effekt befürchten?
Nein, nicht wenn keine Essstörung vorliegt. Tägliche kräftige sportliche Bewegung während der Kur, etwa zwei Stunden flottes Wandern und eine gesunde Ernährung nach der Kur geben dem Jo-Jo-Effekt keine Chance.
Gibt es Nebenwirkungen, die häufig auftreten, z. B. Kopfschmerzen oder Kreislaufprobleme?
Wir sprechen nicht von Nebenwirkungen, sondern von Anpassungsreaktionen im Stoffwechsel. Die entwässernde Fastenwirkung etwa kann zu Blutdruckabfall und Schwindel führen, während Kopfschmerzen meist durch Kaffee-Entzug entstehen. Das Zauberwort dagegen heißt: Entlastungskost. Zwei oder drei Tage vor den strengen Fastentagen praktiziert, schalten sie diese Anpassungsreaktionen aus.
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Wann ist ein Gang zum Arzt ratsam oder sogar notwendig?
Sobald schwächende sowie medikamentenpflichtige Krankheiten im Spiel sind, muss ein Arzt hinzu gezogen werden. Aber auch bei Symptomen an Herz und Hirn, bietet der Gang zum Arzt ein notwendiges Maß an zusätzlicher Sicherheit.
Welche Form von Bewegung oder Sport ist empfehlenswert?
Ohne allzu großen Ehrgeiz ausgeübt, sind alle Freizeit- und Ausdauersportarten geeignet. Schnell- und Kraftsportarten sollten gemieden werden.
Was würdest du Menschen raten, die gerne mal eine Fastenwoche einlegen möchten, aber Bedenken haben, ob sie das durchhalten können?
In der Gruppe fastet es sich am besten. Zahlreiche Fastenkursangebote von gut ausgebildeten Fastenleiter:nnen finden sich auf den Seiten der Deutschen Fastenakademie.
Andrea, fastest du selbst?
Ich selbst habe früher immer dann gefastet, wenn ich keinen klaren Gedanken fassen konnte und nicht mehr weiter mit meinem Leben wusste. Im Fasten ordnen sich meine Gedanken wie von Geisterhand - das Fasten war mein Lösungsweg. Heute faste ich einmal jährlich im Schweizer Lassalle-Haus mit einer Woche Fasten, Schweigen und Beten.
Was ist das Besondere für dich, wenn zum Fasten noch das Schweigen und Beten dazukommen?
Schweigen wirkt auf mich wie eine enorme Lupe. Gedanken und Gesten werden laut und zeigen mir glasklar auf, was ich denke und tue und was ich nicht denke und nicht tue. Beten hingegen hebt mein Ich und meine Gefühle auf eine andere Ebene.
Andrea Ciro Chiappa
Diplom-Oecotrophologe und ärztlich geprüfter Fastenleiter dfa; Ausbildungsleiter der Deutschen Fastenakademie e.V. (dfa); Jahrgang 1971; wohnt in Schifferstadt bei Speyer